Zum Hauptinhalt springen

Session 1: Prolog

Einige Minuten zuvor… #

Bäume. Bäume mit grünen Blättern und braunem Stamm. Bäume mit weißem Stamm und gelben Blättern. Bäume ohne Blätter. Bäume, Bäume, Bäume. Und dieses blöde Unterholz und Gestrüpp. Anne war in der Stadt aufgewachsen. Zugegeben, sie hatte mittlerweile das Gefühl, sich sicherer im Wald zu bewegen als die Gruppe angeblich kampf- und abenteuererprobter Helden, der sie sich angeschlossen hatte und die auf der Suche nach Ruhm und Reichtum vorhatten an der Expedition von Kronprinz von Tassenick teilzunehmen. Und ja, sie war immer öfter sogar erfolgreich bei der Jagd auf Kaninchen fürs Abendessen. Aber nein, sie konnte der Wildnis des Drakwalds einfach nicht viel abgewinnen. Und dabei konnte sie Altdorf schon fast riechen! So ein bisschen jedenfalls. Oder es sich zumindest vorstellen. Und Mumpitz, ihr zahmes Frettchen, war noch nie in einer richtigen Stadt gewesen! Mumpitz würde die Marktstände am Königsplatz lieben! Wie die Stadt sich wohl verändert hatte? Nach und nach hatten auch ihre Mitstreiter (deren Abenteuertauglichkeit Anne mit jedem Tag mehr in Frage stellte) über die letzten Abende die Erkenntnis erlangt, dass man zu Fuß wohl noch mindestens 2 Wochen unterwegs sein würde (oder nach Einschätzung des selbsternannten Meisterschützen Kurt “joah, sicherlich 3 Monate.”). Daher wurde beschlossen, eine vorbeifahrende Kutsche anzuhalten und eine Fahrt nach Altdorf zu kaufen (“Das macht man so, oder?”). Und so wartete die kleine Gruppe nun auf der imperialen Schnellstraße auf die nächste Kutsche.

Blaufichten, Rottannen, auch mal Zedern und dazwischen Birken, hin und wieder Eichen. Das Unterholz teilweise dicht, aber meist passierbar. Viele felsige Stellen und viel Moos. Navigierbar aber anspruchsvoll. Nachts würde es sicher kalt und feucht-neblig. Und ganz sicher gefährlich. Valdric beobachtete den Wald, der am Fenster vorbeizog mit dem geschulten Auge und dem gebotenen Respekt, den man als Kundschafter einer Gegend entgegenbringt, die man noch nicht kennt. Klar, wäre der Wald nicht dicht und gefährlich, so könnte man seinen Lebensunterhalt nicht damit verdingen, Leute hindurchzuführen. Und trotzdem war Valdric froh, den berüchtigten Drakwald nördlich von Altdorf heute vom bequemen Sitz und hinter der relativen Sicherheit des Fensters einer Kutsche der Vier Jahreszeiten Linie zu betrachten. Altdorf also. Wenn der Reisende recht behalten sollte und Valdric’s Bruder Markwart wirklich dort war, würde Valdric ihn finden! Wie groß kann so eine Stadt schon sein? Aber für den Moment widmete er sich wieder seinem Gegenüber, dem jungen Mann in Valdrics Alter, mit dem man sich recht gut unterhalten konnte, auch wenn dieser erstaunlich viel zu Fischen zu sagen hatte.

Bäume. Bäume, Bäume, Bäume und noch mehr Bäume. Dafür dass das Reikland angeblich das Zentrum der Flussschiffahrt in der Alten Welt war gab es erstaunlich viele Bäume. Florian vermisste das Wasser und die Weite schon jetzt. Den Blick vom Deck einer Barke bis zum Horizont - so wie daheim im Norden. Und wenn sich dort in der Landschaft etwas erhob so waren es die Türme von Nordlands Hauptstadt Salzenmund. Aber irgendwo zwischen den ganzen Wäldern und Tälern hier müssten sich ja wohl doch die Flüsse und Kanäle finden die angeblich so voll mit Barken und Kähnen sind, dass sie sich an den Engstellen tagelang stauen. So erzählten es zumindest alle, die mal hier im Süden gewesen waren. Und dann wieder soll es Stellen geben wo der Reik so breit ist, dass man das andere Ufer nicht sieht und meint, am Meer zu stehen. Chancen ohne Ende für einen guten Lotsen. Das Reisen in der Kutsche war ungewohnt - und teuer! Aber zugegebenermaßen war es recht bequem. Und der Mann gegenüber, ungefähr in Florians Alter, war nicht der schlechteste Gesprächspartner. Er erzählte für Florians Geschmack zwar etwas viel von Bäumen, aber Florian revanchierte sich mit Ausführungen zu Fischen und deren Zubereitung. Und man hatte schnell festgestellt, dass man sich handwerklich gar nicht so fremd war - so von Flusslotse zu, äh, Waldlotse. Und es beruhigte Florian, dass er offenbar nicht der Einzige war, der bislang nur eine sehr grobe Vorstellung davon hatte, wie genau seine großartige Zukunft in der Hauptstadt des Imperiums genau aussehen würde.

Autsch - schon wieder ein Ast im Weg. Verdammte Bäume überall. Morngrim wischte sich im Laufen einen Zapfen aus dem kupferroten Bart. Er war im Imperium geboren und aufgewachsen, aber mit jedem Zapfen im Bart und jedem Ast im Gesicht wuchs in ihm eine Mischung aus sehr zwergischem Groll und sehr zwergischem Stolz und er fühlte sich ein wenig mehr seinen Vorfahren in Karak Ungor verbunden. In den riesigen Felshallen seiner Ahnen hatte es bestimmt keine verdammten Bäume gegeben. Aber immerhin - dem zerlumpten Taschendieb vor ihm ging es augenscheinlich nicht besser. Auch der stolperte immer wieder über das knorrige Unterholz oder rutschte auf dem feuchten Moos des Drakwalds aus. Morngrim war auf 10 Schritte an ihm dran. Einen Silberschilling hatte die Wirtin ihm versprochen, wenn er den Mann einfinge, der sich im Schankraum an den Habseligkeiten der Gäste bedient hatte. Aua, Ast! 5 Schritte! Und das, obwohl der Menschling längere Beine hatte! Ha, gleich würde er ihn zu packen kriegen! Der nächste Schritt auf dem Weg zum gefürchtetsten Kopfgeldjäger überhaupt.

Kapitel 1 #

Die Pferde wiehern und mit quietschenden Bremsen und viel Gepolter kommt die Kutsche zum Stehen. Florian und Valdric hören den Chefkutscher mit dem dicken Schnauzbart und der grollenden Stimme draußen vom Kutschbock brüllen: “Bei Ulric, ja geht’s noch, Ihr Vollpfosten? Das ist ja wohl der armseligste Überfall den ich je gesehen habe! Runter von meiner Straße, Ihr Pfeifen!”

Aus der Gruppe Bewaffneter, die sich auf der Straße niedergelassen haben, kommt ein zögerliches Raunen. “Äh, Sigmar zum Gruß! Wie viel kostet denn eine Fahrt nach Altdorf? Also für uns alle?” stammelt “Meisterschütze” Kurt unsicher. Anne hatte ihre Gefährten gewarnt, dass man Kutschen nicht einfach auf freier Strecke anhält und vorgeschlagen, dass man der Straße zum nächsten Kutschhof folgt und dort eine Passage bucht, war aber überstimmt worden. Und so stehen sie nun dem wütenden Kutscher mit dem dicken Schnauzbart gegenüber, der oben auf dem Kutschbock drohend seine lange Lederpeitsche hochhält. Der zweite Kutscher (der ohne Bart) bleibt sitzen. Seine Hand gleitet langsam und fast beiläufig in Richtung der Holzklappe unterm Kutschbock. Anne hat bei ihrer Arbeit im Gasthof genug Kutschen gesehen, um zu wissen, dass hinter der Klappe eine Donnerbüchse oder eine Pistole bereitliegt. Das ist bei den teuren Kutschlinien immer so. Annes Blick gleitet nervös zwischen ihren Gefährten und den Kutschern hin und her. Aber das unsichere Zaudern und das Ausbleiben jedes Anscheins, dass irgendeiner der Abenteurer auf der Straße vielleicht auf die Idee käme, nach den Waffen zu greifen, scheint den den bärtigen Kutscher mit der Peitsche vollends zu überzeugen. Er kann sich offenbar wirklich nicht vorstellen, dass es sich bei der Gruppe um echte Banditen und bei der ungelenken Frage nach einer Gruppenfahrkarte um eine List handeln könnte. Er lässt sich wieder auf den Kutschbock fallen, schüttelt den Kopf und sagt: “Mann, mann, mann. Wir sind ohnehin voll. Eine Stunde Fußmarsch die Straße zurück nach Norden ist ein Gasthaus. Das wird zwar nicht von der Vier Jahreszeiten Linie bedient, aber vielleicht habt Ihr Glück und irgendeine Kutsche hält dort. Weiter nach Süden Richtung Altdorf ist es noch gut ein Tagesmarsch zum nächsten richtigen Kutschhof. Wenn Euch bis dahin keiner über den Haufen fährt.” Die etwas verdatterten Abenteurer treten zögerlich links und rechts zur Seite und die Kutsche setzt sich rappelnd und polternd in Bewegung. Valdric und Florian haben außer dem kurzen Halt und etwas Gebrüll von draußen her nicht viel mitbekommen und lehnen sich erleichtert in ihre Sitze zurück, als die Fahrt weitergeht. Draußen aber vernimmt man ein Rascheln im Wald links der Kutsche, gefolgt von erneutem Gebrüll, wenn auch diesmal nicht vom Kutscher kommend. Und plötzlich bricht aus dem Unterholz links neben der Straße eine zerlumpte Gestalt hervor, ist mit einem Satz über den Straßengraben und setzt zu einem gewagten Hechtsprung in Richtung der gerade anfahrenden Kutsche an. Zwei Schritte dahinter stürmt der Quell des neuerlichen Gebrülls mit wehendem Bart aus dem Wald, laut rufend “Halt! Im Namen des Ge…äh…verdammt, bleib stehen!” Der Flüchtende springt. Er segelt durch die Luft und scheint für einen kurzen Moment zu schweben, um Haaresbreite Morngrims Griff - und seinem Zorn - entkommen. Dann erreichen erst des Flüchtenden ausgestreckte Arme und alsbald der Rest von ihm die Kutsche. Genauer gesagt erreicht er die sich zusehends schneller drehenden Speichen am linken Hinterrad der Kutsche. Und während die Fahrgäste in der Kutsche hiervon zunächst nur ein dumpfes Krachen hören, klingt das Geräusch für die Umstehenden als ob jemand in matschigem Morast einige sehr trockene Äste zerbricht. Ihnen bleibt nur ein kurzer Augenblick in dem sie unwillkürlich die Gesichter verziehen bevor sich der Zerlumpte und das linke Hinterrad der Kutsche in eine Wolke aus Holzsplittern, Knochensplittern, Blut und Eingeweiden verwandeln. Die Kutsche schlingert kurz und kippt dann über die nun nicht mehr ausreichend mit Rädern ausgestattete linke Seite in den Straßengraben.

Shallya sei Dank haben wie durch ein Wunder alle (bis auf den flüchtenden Dieb natürlich) den Unfall mit ein paar blauen Flecken und Schürfwunden überstanden. Die Kutscher können die Pferde aus Zaumzeugen und der verkanteten Deichsel befreien und machen sich auf den Weg zurück Richtung Norden, um so schnell wie möglich den nächstgelegenen Gasthof zu erreichen und Unterstützung für die Bergung des Wracks zu organisieren. Die Reisenden diskutieren, ob man mit zurück zum Gasthof geht oder den langen Marsch Richtung Altdorf zum nächsten großen Kutschhof wagen soll, um dort direkt am nächsten Tag eine Fahrt zu ergattern. Schlussendlich entscheiden fast alle Anwesenden, den Kutschern zurück nach Norden zu folgen und abzuwarten, ob die Kutsche repariert werden kann. Nur vier der Reisenden scheinen geneigt, weiter Richtung Altdorf zu ziehen um vielleicht noch vor Einbruch der Nacht den Kutschhof zu erreichen:

Anne betrachtet nochmals ihren bisherigen Haufen von Abenteurern und versucht sich vorzustellen, wie ihre Helden eine gefährliche Expedition unternehmen. Und sie trifft eine Entscheidung. Sie kann Altdorf wirklich fast schon riechen. Morngrim hat Zweifel, ob es für die traurigen Überreste des Diebes überhaupt noch eine Belohnung gibt - und wie er die Überreste transportieren könnte. Außerdem hat er im Chaos des Wracks einen Zettel gefunden, der wie ein typischer Steckbrief aussieht. Oben steht ein sehr langer Name und im Text erkennt er “8 Goldkronen” und das Wort für “Altdorf”. Das klingt deutlich besser als “vielleicht 1 Silberschilling” und einen Eimer voll Taschendieb durch den Wald zu tragen. Valdric ist sich nach Rücksprache mit den Kutschern ziemlich sicher, dass man mit leichtem Gepäck auf der gut ausgebauten Straße und in diesem flachen Gelände noch bei Tageslicht den nächsten Kutschhof im Süden erreichen kann. Florian denkt sich “ach, auf dem Fluss würde ich auch nicht einfach umdrehen. Und Bäume hab ich bald genug gesehen. Vorwärts Richtung Altdorf!”

Und so ziehen unsere vier Tapferen los gen Süden. Und tatsächlich sieht es aus, als ob der Plan aufgeht. Nach einigen Stunden Fußmarsch, gerade als die Sonne beginnt, unterzugehen, taucht hinter einer Biegung der Umriss eines Anwesens auf.